Israel – Stimmen für Frieden und Verständigung. Kriegsdienstverweigerung und Antikriegsarbeit

Vortrag und Diskussion mit Haggai Matar, Israel, am Donnerstag, dem 23. November 2006 um 20.00 Uhr im Forum der Anne-Frank-Schule Gütersloh, Düppelstr. 25b.
Eine Veranstaltung in Kooperation mit Connection e.V. und der Nahostkommission von Pax Christi.

Haggai Matar ist Kriegsdienstverweigerer und in der israelischen Friedensorganisation New Profile aktiv.
Er ist als einer von fünf Kriegsdienstverweigern bekannt geworden, die im Jahre 2002 verweigert hatten. Sie wurden alle mehrmals zu Arreststrafen verurteilt und schließlich vor ein Militärgericht gestellt. In einem sehr öffentlichkeitswirksamen Prozess stellten sie ausführlich die Gründe für ihre Verweigerung dar. Schließlich wurden sie Anfang 2004 zu einem zusätzlichen Jahr Haft verurteilt. Insgesamt war Haggai Matar fast zwei Jahre in Haft.

Interview von Rudi Friedrich (Connection e.V.) mit dem israelischen Kriegsdienstverweigerer Haggai Matar, September 2006


Die israelischen Organisationen New Profile und Yesh Gvul berichteten im August 2006, dass sich Hunderte Soldaten und Reservisten der israelischen Armee dem Kriegseinsatz im Libanon entzogen haben. Zum großen Teil nutzten sie die in Israel gängige Praxis, sich aus medizinischen oder physischen Gründen zurückstellen zu lassen, erschienen einfach nicht zum Dienst oder wurden wegen ihres Protestes nicht im Libanon eingesetzt. Zumindest zehn Verweigerer wurden inhaftiert. Damit wurde deutlich, dass es in Israel keineswegs nur Zustimmung für den Libanonkrieg gab. Rudi Friedrich von Connection e.V. fragte Mitte September einen Aktiven von New Profile, Haggai Matar, nach seiner Einschätzung zum Krieg und Widerstand. Haggai Matar hatte im Jahre 2002 den Kriegsdienst verweigert und war deswegen fast zwei Jahre in Haft.

Der Einmarsch der israelischen Truppen in den Libanon hatte viele überrascht. Welche Gründe hatte Deines Erachtens die israelische Regierung dafür?
Es ist sehr schwierig, die wirklichen Gründe für den Krieg zu benennen. Sicher ist es eine Lüge, dass mit dem Krieg die gekidnappten Soldaten befreit werden sollten. Auch der später genannte Grund, die Hisbollah zu vernichten, war vorgeschoben. Beide Ziele können nicht durch einen Militäreinsatz gelöst werden. Die israelische Regierung weiß das sicherlich besser. Ein Weg wäre die Freilassung von Gefangenen gewesen, so sitzen in Israel über 10.000 PalästinenserInnen ein, die wie die Soldaten gekidnappt wurden.
Der Krieg gegen den Libanon ist auch nicht geführt worden, weil die USA oder die Waffenhändler ihn wollten oder aufgrund der politischen und ökonomischen Interessen der USA. Das mag zwar alles eine Rolle gespielt haben, aber letztlich ist eine der wesentlichsten Gründe die Militarisierung der israelischen Gesellschaft.
Ich will ein Beispiel dafür nennen: Hochrangige Offiziere der israelischen Armee wissen, dass sie nach dem Militärdienst eine brillante Karriere erwartet. Sie werden Parlamentsabgeordnete oder Berater bei großen Firmen. Es wird ihnen das Direktorat von Schulen angeboten. Sie wissen einfach, dass sie einen guten Platz finden werden. All dies ist möglich, weil die Israelis denken, dass die Armee notwendig sei, sie alles tut, um das Leben der Bevölkerung zu schützen. Und die Armee hat selbstverständlich das Interesse, diese Macht zu behalten und unter Beweis zu stellen.

Sieht die israelische Bevölkerung nur noch den Krieg als Lösung?
Die Menschen haben das Gefühl, dass es keine andere Wahl gibt. Das ist das Ergebnis der jahrzehntelangen Besetzung. Man tut alles, damit es auf der palästinensischen Seite keine Gesprächspartner gibt. So scheint es nur den militärischen Weg zu geben, um die Probleme zu lösen. Das ist in höchstem Maße verinnerlicht worden. Es gibt absolut keine Ansätze für Verhandlungen weder mit den Palästinensern noch mit den Libanesen, den Syrern oder wem auch immer.

Wie konnte sich dieses Gefühl so stark durchsetzen?
Ich will ein Beispiel dafür geben: Seit Beginn der ersten Intifada begann ein Prozess der Separation von Israelis und PalästinenserInnen. Einer der wichtigsten Effekte von Blockaden und der Ausgrenzung der PalästinenserInnen war, dass heute die meisten jungen Leute niemals Menschen von der anderen Seite getroffen haben, also fast alle, die noch keine 29 Jahre alt sind. Junge Israelis, die nun in den Beruf gehen, haben wahrscheinlich nie PalästinenserInnen getroffen, auch wenn sie nur 10 Minuten entfernt leben. Sie kennen über die Medien nur die Hamas, die Selbstmordattentäter usw. Das Gleiche gilt für die PalästinenserInnen. Das einzige, was sie von Israel kennen, sind Soldaten und Siedler. Sie kennen nur das alltägliche Leben unter der Besatzung. Klar, dass beide Seiten nicht an die Möglichkeit von Gesprächen glauben.
Und diese Politik wird fortgesetzt. Israel ist sehr von der Ideologie beherrscht, dass die Teilung eine Lösung sei. Sie wurde im Falle des Gazastreifens umgesetzt, das faktisch zu einem riesigen Gefängnis wurde. Kaum jemand kommt noch herein oder heraus und Israel setzt die Zerstörungen und Bombardierungen fort. Das ist auch schon in Teilen der Westbank geschehen, wo Israel entschieden hat, wie die neuen Grenzen auszusehen haben, wo die Trennungsmauer, die Apartheidmauer, errichtet und damit den PalästinenserInnen erneut Land genommen wird. All das bedeutet größere Armut, mehr Hass und eine Radikalisierung innerhalb der palästinensischen wie der israelischen Gesellschaft.

Welche Möglichkeiten siehst Du, dies aufzubrechen?
Ich hoffe, dass sich die Menschen zusammentun. Dass sich Israelis und PalästinenserInnen treffen und Alternativen zur Politik der Trennung, der Separation, entwickeln. Wir versuchen hingegen Kontakte aufzubauen, z.B. über die gemeinsamen Demonstrationen, die in palästinensischen Dörfern gegen die Mauer durchgeführt werden.
Auch die Kriegsdienstverweigerung ist ein sehr mächtiges Werkzeug, um Solidarität zu vermitteln. Als ich gemeinsam mit vier anderen Kriegsdienstverweigerern im Gefängnis war und PalästinenserInnen davon hörten, war das eine Brücke der Solidarität. Wir erhielten Dutzende von Briefen, in denen sie z.B. schrieben: "Das ist das erste Mal, dass wir von solchen Israelis hören. Das gibt uns Hoffnung und stärkt unsere Überzeugung, dass möglicherweise Gewalt nicht die Lösung ist und wir etwas zusammen tun können." Das ist ein Ansatz für Kooperation. Nur damit können wir den Teufelskreis von Militäreinsatz und Hass durchbrechen.
Beeindruckend war auch eine Erfahrung, die ich bei der Organisation eines Sommercamps gemacht habe. Dazu waren Jugendliche aus dem ganzen Land eingeladen, die zwischen 14 und 19 Jahre alt sind. Die ganze Zeit über waren mehr als 100 TeilnehmerInnen in den Arbeitsgruppen und auf den Veranstaltungen. Die Jugendlichen diskutierten über Themen, über die gewöhnlich nicht gesprochen wird: die Besatzung, Globalisierung, Ökonomie, Ökologie oder Feminismus. Am Ende kamen TeilnehmerInnen zu mir und sagten: "Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass mir jemand zuhört." Das war für sie wirklich ein neues Erlebnis und viele entschieden sich, aktiv zu werden: zu verweigern, in die besetzten Gebiete zu gehen oder in anderen Gruppen mitzuarbeiten.

Welche Aktivitäten gab es in Israel gegen den Libanonkrieg?
Erst einmal muss ich sagen, es waren nicht genug. In der jüdischen radikalen Linken gibt es vielleicht 1.000 oder 2.000 Personen, die wirklich kritisch, radikal und grundsätzlich gegen den Krieg sind. Die vielen im Ausland bekannte Gruppe Peace Now hat den Krieg unterstützt, spricht sich gegen die Verweigerung des Militärdienstes aus und weigerte sich, zu den Antikriegsdemonstrationen zu kommen.
Wir hatten drei oder vier Demonstrationen jede Woche – über das ganze Land verteilt. Positiv war dabei, dass dies in einer arabisch-jüdischen Kooperation organisiert wurde. Tausende von israelischen PalästinenserInnen kamen zur größten Demonstration mit 5.000 TeilnehmerInnen nach Tel Aviv.
Erst ganz am Schluss des Krieges begann die Zahl zu wachsen. Nun kamen linke Zionisten, die sagten: "Naja, am Anfang war der Krieg berechtigt. Aber nun dauert er zu lange, zu viele Menschen werden getötet, zu viele Zivilisten. Wir sollten ihn beenden."
Es gab auch nur wenige Verweigerer, die den Einsatz verweigert haben und deshalb inhaftiert waren. Wir kennen darüber hinaus eine ganze Reihe von Leuten, die zwar bereit waren, den Reservedienst abzuleisten, aber nicht im Libanon. Zudem gibt es Reservisten, die sich dem Dienst entziehen oder sich zurückstellen lassen. Wir nennen dies die graue Verweigerung, weil sie nicht öffentlich wird. Sie hat dadurch keine größere Wirkung. Auch wenn diese Form der Verweigerung im eher privaten Bereich wichtig ist, müssen wir doch sehen, dass sich daraus keine Bewegung entwickelt.
Kurz gesagt: Es war frustrierend zu sehen, wie wenig an den Antikriegsaktivitäten teilgenommen haben, wo der Krieg doch so offensichtlich unnötig und mit Kriegsverbrechen verbunden war und Ansätze für eine friedliche Lösung zerstört wurden.

Wie können die Friedensaktivitäten aus dem Ausland unterstützt werden?
Wer stark genug ist, kann sich an der International Solidarity Movement beteiligen und in die Dörfer in Palästina gehen, um dort den gewaltfreien Widerstand gegen die Mauer und die Besatzung zu unterstützen.
Eine andere Möglichkeit wäre, die Gruppen zu unterstützen, die sich für Verweigerer einsetzen, gemeinsam mit PalästinenserInnen arbeiten oder sich an gemeinsamen Demonstrationen beteiligen. Bei Verweigerern ist es möglich, ihnen Briefe zu schreiben. Die Gruppen brauchen aber auch finanzielle Unterstützung. Es fehlt oft schon an Geld, wenn ein Bus für die Fahrt zu einer Demonstration in den besetzten Gebieten bezahlt werden muss.
Zudem ist es sinnvoll, in Deutschland gegenüber der Regierung daran zu arbeiten, endlich Druck auf Israel auszuüben, bezüglich der Pläne in der Westbank oder zur Durchsetzung eines Waffenembargos.