Samenkorn der Hoffnung – Begegnung kann Frieden schaffen

Regierungspräsident Andreas Wiebe überreicht der Stiftungsvorsitzenden Marita Kappler die Anerkennungsurkunde. Daneben: Mitstifterin Ingrid Mohn. SE Abdallah Frangi gratuliert. Foto: R. Vornbäumen

 „Begegnungen schaffen in Konflikten ist das Wichtigste, was es gibt. Meistens werden Kriege nicht militärisch entschieden, sondern durch Begegnungen und Gespräche. Deshalb ist die Gründung dieser Stiftung von ganz, ganz großer Bedeutung. …. Ich möchte denjenigen, die diese Initiative ergriffen haben, ganz herzlich danken.“ Der ehemalige Bundes- und Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski, der sich wie kaum ein anderer Politiker seit Jahrzehnten für den Frieden im Nahen Osten engagiert, würdigte die neue Stiftung „Begegnung“ als eine wichtige und herausragende Institution.

Regierungspräsident Andreas Wiebe und die Stiftungsvorsitzende Marita Kappler. Foto: R.Vornbäumen

Zur Gründungsfeier der neuen Stiftung „Begegnung. Stiftung Deutsch-Palästinensisches Jugendwerk“ war auch Seine Exzellenz Abdallah Frangi, der Generaldelegierte der Palästinenser in Deutschland, gekommen. Wischnewski und Frangi plädierten leidenschaftlich für den von der Stiftung beschrittenen Weg der Verständigung und Begegnung.

 

Die bundesweit arbeitende Stiftung „Begegnung“ mit Sitz in Gütersloh erhielt Ende Juni 2004 vom Detmolder Regierungspräsidenten Andreas Wiebe in einem für alle Teilnehmer bewegenden Festakt die Anerkennungsurkunde. „Diese Stiftung ist etwas ganz Besonderes. Die Palette der Stifter ist breit“, betonte der Regierungspräsident. „Ich ziehe meinen Hut vor allen, die sich in dieser Art und Weise so außerordentlich vorbildlich engagiert haben.“

Foto: Vornbäumen

Zu den Initiatoren der Stiftung gehören Lehrer der Anne-Frank-Schule Gütersloh. Diese Schule unterhält seit 1998 ein Schulaustauschprogramm mit der Evang. Luth. School of Hope in Ramallah. Im Jahr 2002 wurde eine offizielle Schulpartnerschaft beurkundet. Neben drei Lehrern der Anne-Frank-Schule sind Gründer der Stiftung: die Ev. Kirchengemeinde Harsewinkel, der Verein Projekt Freundschaft Birzeit Münster e.V. und engagierte Einzelpersonen aus Gütersloh: der Palästinenser Bashar Shammout sowie das Ehepaar Ingrid und Gerd Mohn.

 

Sie stifteten ein bislang einmaliges Jugendwerk (von links): Pfarrer Martin Liebschwager (Harsewinkel), daneben Regierungspräsident Andreas Wiebe, Marita Kappler, Gunar Weykam (beide Anne-Frank-Schule), Bärbel Deninger (Verein Projekt Freundschaft Birzeit – Münster e.V.), Ludwig Stienen (Anne-Frank-Schule), Ingrid Mohn, Bashar Shammout. Im Vordergrund links SE Abdallah Frangi, rechts Bundes- und Staatsminister a.D. Hans-Jürgen Wischnewski. Foto: Kirsten Potz

Anliegen der politisch, weltanschaulich und konfessionell ungebundenen Stiftung ist es, deutsch-palästinensische  Jugendbegegnungen und Schulpartnerschaften zu initiieren und langfristig finanziell absichern zu helfen. In vielen Städten und Verbänden sollen nachhaltige Kooperationen entstehen; dazu gehören auch Praktika für Jugendliche und Fachkräfte sowie Lehreraustauschprogramme. Die Stiftung möchte auf vielfältige Weise Projekte fördern, die der Verständigung zwischen jungen Deutschen und Palästinensern dienen und den interkulturellen Dialog, die Toleranz und den gewaltfreien und demokratischen Umgang mit dem Anderen fördern.

„Uns verbindet“, so Mitbegründer Pfarrer Martin Liebschwager aus Harsewinkel in der Eröffnungsrede zum Festakt, „ die Betroffenheit über die Not der Menschen, die Betroffenheit, dass vor allem junge Menschen durch Kriegserfahrungen in eine Welt geführt werden, in der sie Gewalt als einziges Mittel der Durchsetzung von Zielen in ihrem Alltag lernen. Uns treibt die Betroffenheit über die zunehmende Sprachlosigkeit der betroffenen Menschen und der Öffentlichkeit auch in unserem Land. Die gewaltsame Auseinandersetzung in Palästina ist zur Gewohnheit geworden. Wir nehmen sie zwischen Deutschland, Lettland und Holland noch nebenbei auf dem Sofa wahr. Wir wollen die Sprachlosigkeit aufbrechen und den Sprachlosen eine Stimme geben, ihnen verdeutlichen, dass sie nicht vergessen sind, und ihnen ermöglichen, eine andere Wirklichkeit kennen zu lernen.“ Die neue Stiftung Begegnung sei „ein kleines Samenkorn der Hoffnung, das sich hoffentlich zu einem großen Baum auswächst, unter dessen Blättern viele Menschen Frieden, Ruhe und Achtung ihrer Persönlichkeit finden können.“

Bundes- und Staatsminister a.D. Hans-Jürgen Wischnewski als Gastredner beim Gründungfestakt. Foto: R. Vornbäumen

In seinem eindringlichen Appell für den Weg der Verständigung kritisierte Bundes- und Staatsminister a. D. Hans-Jürgen Wischnewski auch die aktuellen Versuche des israelischen Ministerpräsidenten Scharon, an den Palästinensern vorbei Regelungen zu treffen und Arafat auszuschalten. „Frieden kann es nur geben, wenn er in Übereinstimmung vereinbart ist, wenn er nicht von der anderen Seite diktiert wird, sondern beide Seiten daran beteiligt sind.“ Er kritisierte aber auch die Selbstmordattentate, die er nicht billigen könne. „Dem Frieden dient es nicht.“ Er wertete sie als Ausdruck tiefster Verzweifelung. „Ich sage hier auch in aller Deutlichkeit: Diese Selbstmordattentate führen nicht zu Sympathien. Sie schaden dem Ansehen der Palästinenser in der Welt.“ Der Ehrenbürger der Stadt Bethlehem sehe seine „Aufgabe auch darin, den Palästinensern zu helfen, ein hohes Ansehen in der Welt zu gewinnen.“
Hans-Jürgen Wischnewski wies auf die Chancen hin, die die Stiftung Begegnung angesichts der Rückschläge im Nahostfriedensprozess eröffnen kann: „Stellen Sie sich bitte vor, was es für diejenigen bedeutet, die jetzt dort eingeschlossen sind, wenn sie eine Chance haben, hierher zu kommen. Wenn  ich richtig unterrichtet bin, waren es im vergangenen Jahr 15 junge Leute, die hier waren und in Familien aufgenommen worden sind, die unser Leben kennen gelernt haben. Und unsere Jugendlichen haben das schwierige Schicksal der Palästinenser kennen gelernt.“
Wischnewski regte eine Zusammenkunft der Stiftung Begegnung mit Initiativen und Parlamentariern in NRW an, die sich für den Frieden im Nahen Osten engagieren, so Vertretern der Städtepartnerschaft Köln-Bethlehem, dem Verein Projekt Freundschaft Birzeit – Münster e.V. und Mitgliedern des Landtages NRW, vor allem der deutsch-palästinensischen Parlamentariergruppe in NRW. „Wir sollten uns möglichst bald einmal zusammensetzen, um gemeinsam zu überlegen, wie wir unsere Aktivitäten noch steigern können; denn das ist zwingend notwendig. (…) Dann ist das ein wichtiger Faktor in diesem Land und wir sollten ihn wahrnehmen.“

Bürgermeisterin Maria Unger neben Regierungspräsident Andreas Wiebe Foto: R. Vornbäumen

Wischnewski würdigte die Stiftung mit den Worten: „Das ist ein großer Wert“ und wünschte den Stiftern:  „Ich hoffe, dass Sie erfolgreich sein können, dass viele junge Menschen, drüben und hier, angesprochen werden können. Und dass das, was wir tun, dem Frieden und damit den Menschen dient.“
„Ohne Begegnungen können wir keine Verständigung schaffen.“ Gastredner Seine Exzellenz Abdallah Frangi stimmte mit seinem Freund Wischnewski überein. Der Frieden im Nahen Osten könne nicht auf einer militärischen Lösung beruhen. Frangi dankte Deutschland für die vielfältige Unterstützung beim Aufbau der Infrastruktur in den palästinensischen Gebieten und bei der Initiierung von Begegnungen zwischen Israelis und Palästinensern. Gerade in der heutigen Zeit der Konfrontation sei die neue Stiftung Begegnung ein wichtiger Beitrag der Menschen „von unten“, den Frieden im Heiligen Land zu schaffen.
Frangi appellierte an die Menschen und die Regierungen, den Mut zu haben, „nicht zu schweigen, wenn sie das Unrecht sehen. Ich glaube, das ist es, was ich aus der deutschen Geschichte gelernt habe, nicht zu schweigen, wenn Unrecht geschieht. Nicht um einseitig für die Palästinenser zu sein, nein, um einfach eine Möglichkeit für den Frieden zu schaffen, einen Frieden, der auf den Prinzipen von Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung, Menschenrechten basiert, einen Frieden, der das Selbstbestimmungsrecht beider Völker garantieren kann, dass beide Völker in Freiheit und Unabhängigkeit leben können, so dass beide Völker keine Angst voreinander haben.“
Der Generaldelegierte forderte ein zusammenhängendes, überlebensfähiges Staatsgebiet für die Palästi-nenser: „Wir Palästinenser sind heute so weit gekommen, dass wir bereit sind, einen Palästinenserstaat zu gründen auf einem Viertel von Palästina, auf einer kleinen Fläche. Aber dieses eine Viertel von Palästina muss lebensfähig sein, darf nicht durch Siedlungen zerstückelt werden, darf nicht eingezäunt werden.“
Frangi plädierte für die Vision von  Begegnungen zwischen jungen Israelis und Palästinensern in Deutschland: „Ich hoffe, dass der Tag kommen wird, dass wir hier in Gütersloh und Münster Israelis und Palästinenser einladen und Deutsche dabei sind, die mit einander reden, diskutieren und sich Gedanken darüber machen, wie sie diesen Frieden erreichen. Und wenn wir so weit sind, dann werden wir diesen Frieden im Heiligen Land schaffen, den Frieden zwischen Palästinensern und Israelis. (…) Wir dürfen unsere Hoffnungen nicht aufgeben und wir müssen dafür arbeiten, dass sie auch wahr werden. Ich bin überzeugt davon: Wir werden es schaffen.“

Bundes- und Staatsminister a.D. Hans-Jürgen Wischnewski und SE Abdallah Frangi, im Hintergrund: Katrin Fuchs MdB a.D. Foto: R. Vornbäumen

Die Gütersloher Bürgermeisterin Maria Unger betonte: Angesichts der bedrückenden Probleme im Nahen Osten, angesichts vieler Gründe der Verzweifelung könne eine „Idee, eine Utopie“ Entwicklungen in Gang setzen. „Wenn die ganz großen Entwürfe der Staaten und Regierenden zur Zeit nicht erkennbar oder zumindest nicht sichtbar wirksam sind, dann ist es umso wichtiger, mit den Initiativen an konkreten, eng umrissenen Aufgaben anzusetzen, um in kleinen Schritten Beiträge zu einer besseren Situation zu leisten. Die ungewöhnlichen, aufstörenden Initiativen sind dringend nötig in einer Situation, die so festgefahren und zugespitzt erscheint. Die jungen Menschen müssen stark gemacht und aus der endlosen Spirale von Hass und Gewalt herausgeholt werden. Das haben Sie sich als Ziel Ihrer Stiftung gesetzt.“
„Gerade in einer solch scheinbar ausweglosen Situation“, so schloss sich der Münsteraner Bürgermeister Fritz Krüger an, „gründen mutige und couragierte Menschen die Stiftung „Begegnung“. … Jedes Engagement, das dem Frieden dient, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.“ Er wünschte der Stiftung: „Mögen Sie viele Menschen zum Stiften anstiften können, damit der Stiftungszweck erfüllt und vielfältige Begegnungen junger Menschen ermöglicht werden. Der Frieden ist das höchste Gut!“
In ihrem Schlusswort freute sich die Stiftungsvorsitzende Marita Kappler über die große Resonanz und die guten Wünsche, mit denen die Stiftung bedacht wurde. „Durch den Aufenthalt in deutschen Gastfamilien können junge Palästinenser wenigstens eine Zeitlang ihren kaum vorstellbaren Lebensbedingungen entfliehen und Kraft und Zuversicht für eine bessere Zukunft schöpfen“. Marita Kappler: So solle der „zunehmenden Gewaltbereitschaft und Hoffnungslosigkeit“ entgegengewirkt werden. „Das Erleben einer anderen Wirklichkeit setzt Visionen und Utopien“ einer demokratischen Zivilgesellschaft frei, die die Jugendlichen mit in ihre Heimat nehmen. Wer Frieden und Demokratie nie erfahren habe, könne auch nicht davon träumen und schon gar nicht darauf hinarbeiten, so Marita Kappler. „Durch eine solch langfristig angelegte Begegnungs- und Erziehungsarbeit sollen  Fundamente für eine demokratische und friedliche Zukunft gelegt werden.“ Auch für die jungen Deutschen seien diese Begegnungen eine wichtige Lebenserfahrung und Bereicherung. Frieden, Freiheit und Demokratie werden bewusster und dankbarer empfunden. Eigene Sorgen und Probleme relativieren sich angesichts der unvorstellbaren Lebensbedingungen der palästinensischen Altersgenossen.
Marita Kappler belegte anhand von Schüleräußerungen nach den Besuchsprogrammen der Anne-Frank-Schule, „wie wichtig solche Begegnungen für beide Seiten sind. Das Engagement der Beteiligten, Ängste und Vorurteile abzubauen, aufeinander zuzugehen, hat uns dabei immer wieder sehr beeindruckt.“
Dazu Äußerungen von Schülern aus Gütersloh über den Besuch der palästinensischen Gastschüler im Juli 2003:
„Ich habe außergewöhnliche Menschen kennen gelernt, die in einer ganz anderen, mir nahezu unvor-stellbaren Welt leben. Trotz der erdrückenden Lage, in der die Palästinenser leben, habe ich noch nie so dankbare und lebensfrohe Jugendliche erlebt. … Ich habe bei der Begegnung mit meinen palästinensischen Freunden gelernt, dass es immer etwas gibt, was die Menschen gemeinsam haben, ganz gleich welcher sozialen, kulturellen oder geographischen Herkunft sie sind. Diese Gemeinsamkeit ist hinreichend für eine feste Freundschaft.“
„Mir persönlich hat der Austausch sehr viel gebracht, da ich lernen musste, mit Menschen aus einer anderen Kultur, mit anderen Wertvorstellungen zurecht zu kommen. Zuerst war es schwierig. Aber je mehr wir uns kennen lernten, desto mehr wurden wir Freunde. Das ist etwas, was für das ganze Leben bleibt.“

Ein Schüler aus Ramallah sagte im Juli 2003 über die Begegnungen in Gütersloh:
„Ich habe neue Freunde gewonnen, an die ich mich immer erinnern werde. Diese Reise werde ich nie vergessen. Dieses Austauschprogramm in Deutschland zählt zu den besten Erfahrungen, die ein palästinensischer Jugendlicher machen kann. In den zwei Wochen, die wir in Gütersloh verbracht haben, haben wir die deutsche Gesellschaft wirklich konkret erleben können. Wir fühlen uns privilegiert, in einer ganz anderen Atmosphäre leben zu dürfen, weit weg von Krieg und Spannungen. Für palästinensische Schüler ist es von ganz besonderer Bedeutung, eine Zeitlang in freundlichen, verständnisvollen und rücksichtsvollen Familien zu leben, mit denen wir eine wundervolle Zeit verbracht haben. Ich werde diese phantastische Zeit in meinem ganzen Leben nicht vergessen.“
Marita Kappler rief die Zuhörer auf, das Anliegen der Stiftung ideell, tatkräftig und finanziell zu unterstüt-zen. „Mit unserer Initiative wollen wir den steten Tropfen in Gang setzen, der irgendwann den Stein höhlen wird. Es stimmt nicht, dass wir nichts tun können und nur hilflos zusehen müssen. Jede und jeder kann sich beteiligen, um Jugendlichen neue Horizonte zu eröffnen und Alternativen zu Gewalt und Hoffnungslosigkeit aufzuzeigen.“


Artikel aus 'Im Lande der Bibel' zum einjährigen Bestehen der Stiftung, S. 28/29