Austausch mit der School of Hope mit Besuch und Gegenbesuch 2015. Projektarbeit zum Thema „Krieg der Bilder - Der NahOstkonflikt in den Medien“.

Reise in ein zerrissenes Land

Das Westjordanland, Quelle: www.ochaopt.com (United Nations)

Im April 2015 begann der diesjährige Austausch der Anne-Frank-Schule Gütersloh und der Evangelical-Lutheran School of Hope in Ramallah mit der ersten Begegnung in Palästina und Jerusalem, an dem 17 Schülerinnen und Schüler des 11. und 12. Jahrgangs an der Fahrt teilnahmen.

Die Unterbringung in Gastfamilien, die Vorbereitung und Durchführung des Austausches in Projektform, die Begegnung mit Zeitzeugen und das Engagement für Menschenrechte gehörten wie in den Vorjahren zu den Eckpunkten des Programms.

 

Bereits bei der Begrüßung wurden die deutschen Schüler mit der sprichwörtlichen orientalischen Gastfreundschaft überschwänglich aufgenommen. Schon nach wenigen Tagen sprachen die meisten von „ihren“ Familien. Das gemeinsame Alltagsleben mit den Gastfamilien trug maßgeblich zu einem besseren Verständnis der aus der Ferne kaum begreiflichen Lage vor Ort bei. Denn trotz intensiver einjähriger Vorbereitung auf Geschichte, Religionen und Kultur des Nahen Ostens befremdete die Jugendlichen aus Gütersloh vieles in einem Land, das nun seit fast 50 Jahren unter militärischer Besatzung steht. Schon die Eltern der gleichaltrigen Partnerschüler wurden in die Besatzung hineingeboren.

 

Der erste Abend in Ramallah nach strapziöser Anreise

So ist zum Beispiel das System der verschiedenen Pässe für Palästinenser für Außenstehende kaum zu verstehen. Einige der deutschen Schüler konnten mit „ihren“ Familien, die israelische Pässe oder die Jerusalem-Identitätskarte besitzen, am Wochenende Ausflüge zum Mittelmeer oder nach Haifa machen. Einem anderen Schüler aus Ramallah hingegen, dessen Eltern die Jerusalem-ID besitzen, wird diese von Israel verweigert. Ohne jegliche Ausweispapiere hätte er bei den gemeinsamen Exkursionen in den besetzten Gebieten nicht einmal die sog. A-Zone Ramallah verlassen dürfen.

Bei den Samaritanern auf dem Berg Garizim bei Nablus

Die deutsch-palästinensische Gruppe musste bei ihren Exkursionen innerhalb der besetzten Gebiete wegen der verschiedenen Ausweispapiere und den damit verbundenen Bewegungseinschränkungen der palästinensischen Partner große Umwege in Kauf nehmen. Das eigens für die israelischen Siedler gebaute Straßennetz konnte die Gruppe nur begrenzt nutzen. Die Trennung von sog. A-Zonen mit begrenzter palästinensischer Autonomie von geteilten  B-Zonen oder  israelisch kontrollierten C-Zonen  ist dabei stellenweise  schwer erkennbar, an anderen Stellen wird die Zerrissenheit des Landes durch militärische Checkpoints und die durch die palästinensischen Gebiete verlaufende Mauer deutlich. Die Landschaft ist geprägt vom Wechsel palästinensischer Dörfer mit festungsartig ausgebauten israelischen Siedlungen, von denen einige mittlerweile große Städte sind (s. Karte der UN).

 

Projektarbeit

Projektarbeit in der School of Hope

Die Anne-Frank-Schüler hatten sich in der Vorbereitung auf den Austausch mit verschiedenen aktuellen und geschichtlichen Projektthemen wie „Flüchtlinge“, „Siedlungen“ oder „Mauer“ befasst. Aufgabe war es, diese Themen in ihrem Kontext zu erarbeiten und ihre Vermittlung in den Medien im Rahmen einer Facharbeit zu untersuchen.  Die Partnerschüler in Ramallah waren vor der Begegnung mit der Recherche von Bildmaterial zu den Projektthemen beschäftigt. An mehreren Tagen in der School of Hope tauschten sich die Schüler beider Gruppen zunächst über ihre Vorarbeiten aus und überlegten sich, wie sie die Ergebnisse ihrer Arbeit auch künstlerisch gestalten wollten. Das sollte in Form von Collagen bzw. Decollagen geschehen.

 

Arbeit mit Künstlern in der International Art Academy in Al Bireh

Dazu machte die Gruppe eine Exkursion zur International Academy of Art in Al-Bireh, einem Stadtteil von Ramallah, wo die Schüler von jungen Künstlern beraten wurden. Die Arbeit an diesen Gestaltungen wurde nach der ersten Begegnung weiter fortgesetzt und im Rahmen der zweiten Begegnung in Gütersloh fertiggestellt und präsentiert.

Dem persönlichen Erleben und Erfahren einiger Themen der Projektarbeit dienten auch die gemeinsamen Exkursionen der Gruppe nach Hebron und Bethlehem und zu der palästinensischen Familie Nasar bei Bethlehem.
In Hebron konnten die Schüler in eigener Anschauung erleben, wie sich die Besiedlung einer Stadt durch nationalreligiöse Siedler auf das Alltagsleben der ca. 30.000 Bewohner der Altstadt auswirkt. In Bethlehem stand neben dem Besuch der Geburtskirche Jesu vor allem die Situation der Mauer auf dem Programm.

Feldarbeit auf dem Weinberg der Familie Nasar bei Bethlehem

Besonders beeindruckend war ein Besuch auf dem Weinberg der Familie Nasar südlich von Bethlehem, in der vollständig von Israel kontrollierten C-Zone gelegen. Israel will das Land der Familie enteignen, um die fünf umliegenden Siedlungen zu einem einzigen großen Siedlungsblock zusammenzuführen. Der juristische Kampf der Familie Nasar um ihren seit dem Osmanischen Reich dokumentierten Besitz dauert seit Jahrzehnten an und verschlingt Hunderttausende von Dollar. Die meisten anderen benachbarten Familien, die seit Jahrhunderten auf ihrem Land lebten, solche Dokumente aber nicht vorweisen konnten, wurden bereits enteignet. Persönliche Gespräche mit der Familie, die unter dem Motto „Wir weigern uns Feinde zu sein“ seit Jahrzehnten friedlich kämpft, berührten die gesamte Gruppe. Im Anschluss an die Projektarbeit half die Gruppe für einige Stunden bei der Feldarbeit.
 

Foto: AFS

Die Projektarbeit wurde 2016 im Rahmen eines Wettbewerb des Pädagogischen Austauschdienstes der Kultusministerkonferenz ausgezeichnet.

Überreicht wurde der Preis von Friederike Behrens vom Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW (2.v.l.).

Zeitzeugen

Mit Frau Prof.Dr. Sumaya Farhat-Naser in der School of Hope

Gespräche mit Zeitzeugen wie z.B. mit der Familie Nasar sind uns im Rahmen unserer Projektarbeit besonders wichtig. Aufgrund ihrer biografischen Erfahrungen zu historischen und aktuellen Themen können sie in besonderer Weise Zusammenhänge vermitteln – besser als dies jedes Schulbuch könnte.
Dem diente auch unser Treffen mit der Friedens- und Menschenrechtsaktivistin Prof. Dr. Sumaya Farhat-Naser in der School of Hope. Durch ihre Ausführungen wurde den Schülern die Situation von nun fast 50 Jahren militärischer Besatzung besonders deutlich. Sie erklärte uns u.a. das System der verschiedenen Pässe für Palästinenser und der Aufteilung der besetzten Gebiete in A-, B- und C-Zonen und deren Auswirkungen auf das alltägliche Leben der Menschen.
 

Vor unserer Abreise aus Ramallah besuchte die deutsche Gruppe die Universität in Birzeit. Bei einem Treffen mit der Professorin Dr. Helga Baumgarten hatten die Schüler die einmalige Gelegenheit, all ihre Fragen zur Situation in den besetzten palästinensischen Gebieten zu stellen. Im Mittelpunkt stand dabei die Zukunftsperspektive einer Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten. Die Einschätzung der Professorin diesbezüglich war ernüchternd: Angesichts der israelischen Zersiedlung der palästinensischen Gebiete gebe sie dieser Lösung keine Chance mehr. Im Gegenteil existiere seit vielen Jahren de facto ein Staat Israel mit zwei Bevölkerungen, deren Ungleichbehandlung seit langem durch Gesetze und Militärerlasse festgeschrieben sei.

 

Wanderung vom Griechisch-Orthodoxen Kloster im Wadi Qelt nach Jericho

Daneben gab es natürlich auch eher touristisch geprägte Programmpunkte wie den Besuch des Griechisch-Orthodoxen Klosters im Wadi Qelt und die Wanderung nach Jericho. Zum  Abschluss dieses Tages badete die Gruppe im Toten Meer.
Ein kulturelles Highlight war sicher auch die Fahrt nach Nablus im Norden der besetzten Gebiete. Dort besuchten wir auf dem Berg Garizim die kleine jüdische Gemeinschaft der Samaritaner, die für sich beanspruchen, als einzige den alten jüdischen Opferritus zu praktizieren. Sie leben und arbeiten integriert inmitten der palästinensischen Bevölkerung, als deren Teil sie sich selbst sehen, sprechen Arabisch und haben auch palästinensische Pässe.

Im Amphitheater in Sebastya

Nach unserem Abschied in Ramallah mieteten wir uns mit den Anne-Frank-Schülern für drei Tage im Österreichischen Hospiz in der Altstadt von Jerusalem ein. Hier war vor allem der Tag in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem mit einer Führung durch das zentrale Museum besonders wichtig und beeindruckend.

Wichtig war allen an der ersten Begegnung Beteiligten, die unglaubliche Gastfreundschaft der palästinensischen Partner zu erwidern und auch den Gegenbesuch im Juni zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen.

Im Vordergrund stand im Juni zunächst die Fertigstellung der Projektarbeiten, an denen bereits während der ersten Begegnung gearbeitet worden war. Die Gäste aus Palästina hatten weiteres Material recherchiert und mitgebracht, so dass die künstlerischen Gestaltungen zügig gemeinsam fertig gestellt und präsentiert werden konnten.

Neben der verpflichtenden Projektarbeit war den palästinensischen Gastschülern natürlich wichtig, die für sie ungewohnten Freiheiten in Gütersloh und an den letzten beiden Tagen ihres Besuches in Berlin in vollen Zügen auszukosten. Highlights waren Exkursionen nach Münster und Bielefeld, eine Kajaktour auf der Ems und die Fahrt nach Berlin.

 

Artikel in der Palästina-Israel-Zeitung Nr. 9, März 2016

Artikel in "Die Glocke" vom 20. Juni 2015